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Schweiz bleibt ein Paradies fĂŒr die Tabakindustrie

13.11.2025 07:38 – Fabian StrĂ€ssle

Mit 96 von 100 Punkten erreicht die Schweiz im neuen «Global Tobacco Industry Interference Index 2025» fast die höchste Punktzahl in Sachen Tabak-Lobbyismus – nur die Dominikanische Republik schneidet schlechter ab. WĂ€hrend alle europĂ€ischen LĂ€nder bessere Werte aufweisen, zeigt sich hierzulande ein dichtes Netzwerk aus drei multinationalen Tabakkonzernen, rund dreissig Parlamentsmitgliedern und wirtschaftsnahen VerbĂ€nden.

In kaum einem anderen Staat hat die Tabakindustrie so viel politischen Einfluss wie in der Schweiz. Bereits der Tabaklobby-Index 2023 wies unserem Land den zweitletzten Rang zu, auch damals schon vor der Dominikanischen Republik.

Der aktuelle «Global Tobacco Industry Interference Index 2025 (GTI)», an dem Lobbywatch mitgewirkt hat, bestÀtigt dieses Bild: Die Schweiz erreicht 96 von 100 möglichen Punkten. Alle europÀischen Staaten und OECD-LÀnder sind besser platziert. Die Auswertung umfasst 20 Indikatoren in den Bereichen Transparenz, Interessenkonflikte, politische NÀhe und Einflussnahme auf Gesetzgebungsprozesse und deckt den Zeitraum von MÀrz 2023 bis MÀrz 2025 ab.

Übersicht GTI Drahtzieher der Tabaklobby

Die wirtschaftliche Basis der Tabaklobby stĂŒtzt sich hierzulande auf drei grosse multinationale Konzerne, die den heimischen Tabakmarkt dominieren und weltweit zu den grössten Akteuren zĂ€hlen: Philip Morris International (PMI) mit Sitz in Lausanne hĂ€lt in der Schweiz 41 Prozent Marktanteil, British American Tobacco (BAT) in Genf 33 Prozent und Japan Tobacco International (JTI), ebenfalls in Genf, rund 26 Prozent. Ebenfalls wichtige Player im TabakgeschĂ€ft sind Oettinger Davidoff aus Basel und Villiger Söhne aus luzernischen Pfeffikon. Diese Firmen vereinen fast alle handelsĂŒblichen Tabakmarken und E-Zigaretten, die in der Schweiz erhĂ€ltlich sind – mit Ausnahme von Snus und Shisha-Tabak. Ihre Produktionsstandorte gelten in den jeweiligen Gemeinden und Kantonen als wirtschaftlich bedeutsam. Produziert wird dort sowohl fĂŒr den heimischen Markt als auch fĂŒr den Export.

Vom Acker bis zur Ladentheke – das Netzwerk der Tabaklobby

Die Lobbyarbeit beginnt bereits auf dem Feld. Swiss Tabac ist der Branchenverband der Schweizer Tabakpflanzer, Mitglied des Schweizer Bauernverbandes und lobbyiert in Bern fĂŒr deren Anliegen. Im Jahr 2024 bewirtschafteten rund 112 Tabakbauern eine GesamtflĂ€che von 366 Hektaren und erzielten einen Erntewert von etwa 14 Millionen Franken. Laut dem GTI-Bericht 2025 subventioniert der Bund den Tabakanbau mit rund 40'000 Franken pro Hektar. Diese staatlichen Subventionen begĂŒnstigen indirekt die grossen Tabakkonzerne, die das Rohmaterial weiterverarbeiten.

Vom Feld gelangt der Tabak in die HĂ€nde der Konzerne PMI, BAT und JTI und mit ihnen in die nĂ€chste Ebene des Lobby-Netzwerks. Die drei Unternehmen unterhalten gemeinsam die Lobby-Organisation Swiss Cigarette, welche die Interessen der Hersteller direkt im Bundeshaus vertritt. Denn deren GeschĂ€ftsstelle wird von Martin Kuonen geleitet, der ĂŒber einen Parlamentszugangs-Badge verfĂŒgt – ausgestellt vom Walliser FDP-Nationalrat Philippe Nantermod.

Einst produziert, mĂŒssen die Zigaretten beworben und dann verkauft werden. Hier kommt der Dachverband der Werbewirtschaft, KS/CS Kommunikation Schweiz, ins Spiel. KS/CS tritt konsequent gegen Werbeverbote ein und bekĂ€mpfte auch die Volksinitiative „Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung“. Wenig ĂŒberraschend zĂ€hlen PMI, BAT und JTI zu den Premiumpartnern des Verbands.

Die finale Vertriebsstufe wird von Swiss Tobacco (nicht zu verwechseln mit Swiss Tabac) vertreten, der Vereinigung des Schweizerischen Tabakwarenhandels. Der Verband wird von SVP-Nationalrat Gregor Rutz prĂ€sidiert – ein vergĂŒtetes Amt, dessen Einkommenshöhe Rutz gegenĂŒber Lobbywatch aber nicht deklarieren will. Swiss Tobacco vereint Unternehmen des Gross- und Einzelhandels: vom Basler Traditionsunternehmen Oettinger Davidoff ĂŒber die Swiss Retail Federation bis zu Denner und der Kioskkette Valora. Sie alle haben ein wirtschaftliches Interesse an einem laschen Tabakproduktegesetz, das ihre Verkaufszahlen nicht beeintrĂ€chtigt.

Die einzelnen Akteure agieren nicht isoliert, sondern sind Teil einer ĂŒbergreifenden Dachorganisation: der Allianz der Wirtschaft fĂŒr eine massvolle PrĂ€ventionspolitik (AWMP). Diese wurde als Reaktion auf Regulierungsbestrebungen des Bundesamts fĂŒr Gesundheit in den Bereichen Tabak, Alkohol und ErnĂ€hrung gegrĂŒndet. Zu ihren Mitgliedern zĂ€hlen etwa KS/CS Kommunikation Schweiz, JTI, Swiss Tobacco und Swiss Cigarette, daneben auch andere Lobby-Schwergewichte wie Gastrosuisse, der Schweizer Bauernverband, Handel Schweiz und der Verband der Tankstellenshop-Betreiber, oder die IG Freiheit. Komplettiert wird der breite UnterstĂŒtzerkreis von der SVP und den Jungfreisinnigen Schweiz – ein Netzwerk, das alle Stufen der Tabakwirtschaft mit politischem Einfluss verbindet.

30 Parlamentarier:innen mit Verbindungen zur Tabak-Lobby

Zwischen Parlament und Tabak-Lobby verlaufen in der Schweiz auffallend viele direkte Verbindungen. Nach Recherchen von Lobbywatch haben rund dreissig Mitglieder des eidgenössischen Parlaments direkte oder indirekte Beziehungen zur Tabakbranche – darunter auch MandatstrĂ€ger*innen in den fĂŒr Tabakregulierung zentralen Kommissionen fĂŒr Gesundheit (SGK) sowie Wirtschaft und Abgaben (WAK).

Zu nennen sind insbesondere:

  • Hannes Germann (SVP, SH): VizeprĂ€sident der SGK-S, Mitglied der WAK-S, gewĂ€hrte einer frĂŒheren BAT-Lobbyistin Zugang zum Parlament
  • Gregor Rutz (SVP, ZH): PrĂ€sident der Vereinigung des Schweizerischen Tabakwarenhandels, PrĂ€sident der IG Freiheit
  • Diana Gutjahr (SVP, TG), Mitglied der SGK-N, sowie Vorstandsmitglied bei der IG Freiheit und im Schweizerischen Gewerbeverband (SGV)
  • Daniela Schneeberger (FDP, BL): Mitglied der WAK-N und ist VizeprĂ€sidentin des SGV
  • Markus Ritter (Die Mitte, SG): PrĂ€sident des Bauernverbands, gab im besagten Zeitraum sein Badge an Francis Egger von Swiss Tabac, Mitglied in WAK-N
  • Erich Ettlin (Die Mitte, OW): VizeprĂ€sident der WAK-S, ist im SGV aktiv

Volksinitiative verwÀssert: Das neue Tabakproduktegesetz

Wie deutlich der Einfluss der Tabaklobby im Gesetzgebungsprozess spĂŒrbar ist, zeigte sich bei der Umsetzung der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak». Obwohl die Stimmbevölkerung die Initiative 2022 angenommen hatte und damit ein Werbeverbot fĂŒr Tabakprodukte forderte, die Kinder und Jugendliche erreichen, entschĂ€rfte das Parlament bei der Ausarbeitung des neuen Tabakproduktegesetzes (TabPG) zentrale Bestimmungen.

Der ursprĂŒngliche Entwurf enthielt wesentliche Jugendschutzmassnahmen: Der Verkauf von Tabakprodukten an MinderjĂ€hrige sollte verboten, die Werbung im öffentlichen Raum stark eingeschrĂ€nkt und das Sponsoring von Jugendveranstaltungen sowie internationalen AnlĂ€ssen untersagt werden. In der parlamentarischen Beratung wurde die Sponsoring-Regelung jedoch verwĂ€ssert. GemĂ€ss der aktuellen Gesetzesfassung bleibt Tabak-Sponsoring grundsĂ€tzlich zulĂ€ssig, sofern eine öffentliche Veranstaltung nicht «internationalen Charakter hat», oder «auf ein minderjĂ€hriges Publikum abzielt» (Art. 20 Abs. 1 TabPG). Diese breiten Formulierungen schaffen erhebliche InterpretationsspielrĂ€ume – und damit Schlupflöcher.

Wie es zu dieser AbschwĂ€chung kam, erklĂ€rt der Beobachter-Journalist und langjĂ€hrige Co-PrĂ€sident von Lobbywatch, Thomas Angeli. Besonders heikel ist aus seiner Sicht ein Zusatz der SGK-S, der das ursprĂŒnglich vorgesehene Sponsoringverbot faktisch aushebelte. Dieser Passus fand sich im Vernehmlassungsverfahren beinahe wortgleich in den Stellungnahmen von Swiss Cigarette, JTI und BAT. «Dass die schliesslich ĂŒbernommene Formulierung fast identisch klingt, dĂŒrfte kein Zufall sein», so Angeli. In der SGK-S sitzen mit Damian MĂŒller und Hannes Germann zwei StĂ€nderĂ€te, deren NĂ€he zur Tabakindustrie bekannt ist. Wegen des Kommissionsgeheimnisses ist jedoch unklar, wer die einzelnen Formulierungen eingebracht hat. Fest steht: Die Kommission griff Textpassagen auf, die im Vernehmlassungsverfahren von der Tabakindustrie vorgeschlagen worden waren. Und so bleibt der Eindruck, dass der endgĂŒltige Gesetzestext – trotz kleiner Fortschritte im Jugendschutz – spĂŒrbar von den Interessen der Tabakindustrie geprĂ€gt ist.

Parteienfinanzierung: PMI spendet an SVP und FDP

Zur Parteienfinanzierung hat Lobbywatch immer wieder recherchiert. Zwar gelten seit 2023 neue Transparenzregeln, doch bleiben viele weiterhin undurchsichtig. GemĂ€ss der Eidgenössischen Finanzkontrolle ĂŒberwies Philip Morris International bei den eidgenössischen Wahlen 2023 je 35'000 Franken an SVP und FDP – im Vergleich zu den Gesamtbudgets der Parteien ĂŒberschaubare BetrĂ€ge, die aber dennoch zeigen, wer die Interessen der Tabakindustrie in Bern vertritt.

Der «Global Tobacco Industry Interference Index 2025» zeichnet ein deutliches Bild: Die Schweiz belegt mit 96 von 100 Punkten den vorletzten Platz weltweit – ein Befund, der angesichts des dichten Netzwerks aus Konzernen, VerbĂ€nden und Parlamentsmitgliedern nicht ĂŒberrascht. Ein Blick auf die Tabak-Lobby zeigt, woran es dem Schweizer System mangelt: an Transparenz und klaren Regeln. Sei es bei der Vergabe von Zugangs-Badges zum Bundeshaus, bei der Einflussnahme im Gesetzgebungsprozess oder bei der Nachvollziehbarkeit von GeldflĂŒssen – ĂŒberall bestehen Grauzonen, die systematische Einflussnahme begĂŒnstigen. Solange diese LĂŒcken nicht geschlossen werden, bleibt die Schweiz ein Paradies fĂŒr Lobbyismus.

Hinweise zur Einordnung Alle genannten Beispiele und BetrÀge stammen aus dem GTI-Bericht 2025, aus öffentlich zugÀnglichen Dokumenten, der Lobbywatch-Datenbank sowie aus der Plattform das Geld + die Politik. Der LÀnderbericht Schweiz zum Global Tobacco Industry Interference Index (GTI) 2025 wurde vom Global Center for Good Governance in Tobacco Control (GGTC) gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft TabakprÀvention Schweiz, erstellt. Lobbywatch hat unteranderem bei Recherche und Auswertung mitgewirkt.