20.11.2019 16:46 – Thomas Angeli
Künftig werden auch Lobbyisten Einblick in geheime Kommissionsprotokolle haben. Möglich macht dies eine neue Regelung, die unbemerkt in eine Verordnung eingefügt wurde.
Wenn das kein verfrühtes Weihnachtsgeschenk für Lobbyisten ist: Am 2. Dezember tritt pünktlich zur neuen Legislatur der neue Artikel 6c der Parlamentsverwaltungverordnung in Kraft. Die paar Zeilen Text kommen unscheinbar daher, aber sie haben es in sich: »Jedes Ratsmitglied kann eine persönliche Mitarbeiterin oder einen persönlichen Mitarbeiter bestimmen, die oder der im Extranet Zugriff erhält auf die Protokolle der Kommissionen, denen das Ratsmitglied angehört», heisst es dort in Abschnitt 1.
Das ergibt auf den ersten Blick durchaus Sinn. Persönliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen Ratsmitglieder bei ihrer Arbeit unterstützen, Hintergründe recherchieren, Fakten zusammentragen und Dokumentationen erstellen. Dazu müssen diese Mitarbeitenden auch wissen, worum es in den Kommissionen überhaupt geht. Und weil sie laut Abschnitt 2 auch dem Amtsgeheimnis unterstehen, ist eigentlich alles in Butter.
Falsch.
Die neue Regelung ist im Gegenteil ein institutionalisiertes Informationsleck für Lobbyisten, Vertreterinnen von Interessenverbänden und Public-Affairs-Verantwortliche von Unternehmen. Denn sie alle können sich problemlos von einem Ratsmitglied als «persönlicher Mitarbeiter» ins Bundeshaus einschleusen, womit sie Zugriff auf für sie hoch interessante Unterlagen erhalten. Ob ein Nationalrat oder eine Ständerätin einen Lobbyisten als «Gast» oder «persönlichen Mitarbeiter» bei den Parlamentsdiensten anmeldet, «liegt in der Selbstverantwortung der Ratsmitglieder», wie Philippe Schwab, Generalsekretär der Bundesversammlung, auf Anfrage erklärt: «Die Parlamentsdienste nehmen keine Kontrollfunktion wahr.» Sprich: Wer als Lobbyist oder Verbandsvertreter Zugriff auf eigentlich geheime Kommissionsprotokolle erhalten will, sucht sich einfach einen Parlamentarier, der ihn als «persönlichen Mitarbeiter» ausgibt.
Fliessende Grenzen
Ein Schreckgespenst? Mitnichten. Ein Blick in das «Register der Zutrittsberechtigten» der letzten Legislatur (das neue ist noch nicht aufgeschaltet) zeigt, dass der Titel «persönlicher Mitarbeiter» teilweise sehr freizügig vergeben wird. So war etwa Thomas Zeltner als «persönlicher Mitarbeiter» von SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner gemeldet. Dass der ehemalige Direktor des Bundesamts für Gesundheit heute Verwaltungsratspräsident der Krankenkasse KPT ist, war für Giezendanner kein Problem: «Herr Dr. Zeltner beratet mich in Gesundheitsfragen sehr kompetent…», schrieb Giezendanner, als ihn Lobbywatch letztes Jahr auf die fragwürdige Deklaration ansprach.
Diverse andere Beispiele zeigen: Die Grenzen zwischen «persönlichem Mitarbeiter» und Interessenvertreter sind fliessend. Als «persönlicher Mitarbeiter» deklariert waren unter anderem Mario Senn, Leiter Wirtschaftspolitik bei der Zürcher Handelskammer (von Nationalrätin Regine Sauter) oder Patrick Mayer von der Handelskammer Frankreich-Schweiz (von Nationalrat Roger Golay). Sehr beliebt ist der vage Titel auch bei Kommunikationsberatern. Mindestens vier Vertreter dieser Branche tummelten sich am Ende der letzten Legislatur als «persönliche Mitarbeiter» in der Wandelhalle.
Für Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel, geht das gar nicht: «Für einige Parlamentarierinnen und Parlamentarier scheint es schwer verständlich zu sein, dass persönliche Mitarbeitende nicht als Lobbyisten im Bundeshaus unterwegs sein dürfen» sagt er. «Das Problem ist primär, dass der Begriff «persönliche Mitarbeitende» sehr schwammig definiert ist. Da braucht es klare Bestimmungen.» Eines ist aber für Schefer klar: «Es ist offensichtlich, dass der Verwaltungsratspräsident einer Krankenkasse nicht als persönlicher Mitarbeiter gelten kann.»