24.06.2024 07:36 â Thomas Angeli
Die Transparenzplattform wird 10 Jahre alt. Zeit fĂŒr eine RĂŒckblick â und einen Wunsch.
Von der GrĂŒndungsversammlung vom 24. Juni 2014 gibt es nicht einmal ein Foto, und die Teilnehmerzahl war ĂŒberschaubar. Unter Traktandum 6 heisst es: «Alle Anwesenden erklĂ€ren ihren Beitritt zum Verein.» Damit war die erste Plattform fĂŒr politische Transparenz in der Schweiz quasi geboren. Lobbywatch zĂ€hlte gerade einmal 15 Mitglieder.
Die Idee war ĂŒber ein paar Jahre in der Redaktion des «Beobachters» gereift: Wann immer mein Kollege Otto Hostettler und ich dort ĂŒber Interessenbindungen von Parlamentsmitgliedern und die von ihnen an Lobbyist:innen verteilte Zutrittsausweise berichten wollten, mussten wir bei null anfangen. Die Listen, welche die Parlamentsdienste zur VerfĂŒgung stellten (anfĂ€nglich noch in einem BĂŒro im Bundeshaus, wo man diese abschreiben musste), waren fehlerhaft und unvollstĂ€ndig. Welche Firmen, VerbĂ€nde und Organisationen im Bundeshaus ĂŒber welche Ratsmitglieder Politik (mit-)machten und welche Lobbyist:innen sich auf Einladung von National- und StĂ€nderĂ€t:innen in der Wandelhalle tummelten, war oft nur zu erahnen. Eine offizielle und effektive Kontrolle der gemeldeten Interessenbindungen und GĂ€ste durch die Parlamentsdienste gab es nicht und gibt es ĂŒbrigens bis heute nicht. Die eidgenössische Politik war punkto Einflussnahme von Interessengruppen de facto eine Dunkelkammer.
Ab 2010 hatten wir im «Beobachter» verschiedene Artikel zu dieser Thematik publiziert. AnfĂ€nglich mit Excel-Listen, spĂ€ter mit einer Datenbank, die unser Kollege und spĂ€tere Lobbywatch-MitgrĂŒnder Roland Kurmann programmierte. 2012 konnten wir einen wichtigen Testlauf durchfĂŒhren. Beim Artikel «Der Befangenenchor» analysierten wir erstmals mithilfe unserer Datenbank die Interessenbindungen der Mitglieder der Gesundheitskommissionen von National- und StĂ€nderat. Die Erkenntnis: Das Tool hatte noch MĂ€ngel, aber es funktionierte. Und es zeigte, wie viele Lobbyorganisationen auf die Schweizer Gesundheitspolitik Einfluss nehmen.
Grosses Echo
Zwei weitere Jahre Arbeit und eine VereinsgrĂŒndung spĂ€ter konnten wir im Herbst 2014 unsere erste Website fĂŒr die Ăffentlichkeit zugĂ€nglich machen. AnfĂ€nglich waren zwar bloss die Daten der Gesundheitskommission abrufbar, aber das Echo war ĂŒberwĂ€ltigend: Journalist:innen aus der ganzen Schweiz berichteten â und meldeten WĂŒnsche an: Sie fragten nach den Daten aller Parlamentsmitglieder und nach einer französischen Version der Website. Das kleine Projekt fĂŒr den internen Gebrauch artete quasi ĂŒber Nacht in richtig viel Arbeit aus.
2015 konnten wir die erste vollstĂ€ndige Datenbank prĂ€sentieren, 2017 schliesslich endlich eine ansehnliche Website. Studierende der Schule fĂŒr Gestaltung Bern hatten in einem einwöchigen Kurs eine Visualisierung entworfen, die heute noch im Einsatz steht.
2017 wagten wir einen weiteren Schritt: In unserem jĂ€hrlichen Mail an alle Ratsmitglieder, in dem wir sie nach der Richtigkeit unserer Daten fragen, stellten wir erstmals eine fĂŒr schweizerische VerhĂ€ltnisse ungeheuerliche Frage: Wir wollten wissen, wie viel die einzelnen Mandate bei VerbĂ€nden, Firmen und Organisationen denn einbringen. Der Aufschrei im Bundeshaus war gross, und in unserer Mailbox landeten Beschimpfungen, die wir von gewĂ€hlten Volksvertreter:innen nicht fĂŒr möglich gehalten hĂ€tten. Knappe 15 Prozent der Ratsmitglieder hielten es fĂŒr angebracht, ihre EinkĂŒnfte offenzulegen.
Breit akzeptiert
Sieben Jahre spĂ€ter können wir feststellen: Unsere Frage nach dem Einkommen löst im Bundeshaus keinen kollektiven Anstieg des Blutdrucks mehr aus. Mittlerweile legen 58 Prozent aller Ratsmitglieder offen, wie viel sie mit ihren verschiedenen Posten verdienen. Lobbywatch bleibt damit die einzige Plattform, auf der die EinkĂŒnfte der Ratsmitglieder ersichtlich sind â jedenfalls von denjenigen, die diese freiwillig bekannt geben.
Wir sind ziemlich stolz, dass wir das erreicht haben. Gleichzeitig sind wir nach zehn Jahren auch etwas ernĂŒchtert, denn eigentlich sollte es eine Organisation wie Lobbywatch gar nicht geben mĂŒssen. Unserer Meinung nach gehören Politik und Transparenz untrennbar zusammen. Wer ein öffentliches Amt innehat und die Zukunft unseres Landes mitbestimmt, kann sich nicht dahinter verstecken, dass das Einkommen Privatsache sei. Jede BĂŒrgerin und jeder BĂŒrger hat ein Recht zu wissen, in wessen Sold Parlamentsmitglieder stehen. Diese Transparenz herzustellen, ist eigentlich eine Aufgabe des Staates. Dass eine Organisation der Zivilgesellschaft wie Lobbywatch sie wahrnehmen muss, ist eigentlich ein Armutszeugnis.
Denn selbst wenn 58 Prozent der Parlamentarier:innen ihre EinkĂŒnfte auf lobbywatch.ch freiwillig offenlegen, haben bislang die Gegner:innen einer obligatorischen Deklaration die Oberhand. Die Ablehnung der Parlamentarischen Initiative von Lisa Mazzone, die eine Offenlegung der EntschĂ€digungen von Bandbreiten verlangte, zeigt dies deutlich.
FĂŒr die nĂ€chsten zehn Jahre kann man Lobbywatch deshalb eigentlich nur eines wĂŒnschen: Dass das Parlament endlich zur Einsicht kommt, seine Aufgabe in Sachen Transparenz wahrnimmt â und Lobbywatch letztlich ĂŒberflĂŒssig macht. Bis es â vielleicht einmal â soweit ist, braucht es Lobbywatch. Dringender denn je.